von Tobias Kühn 09.02.2023 09:13 Uhr
Schewach Weiss ist tot. Der Schoa-Überlebende und ehemalige Knessetsprecher starb am vergangenen Samstag im Alter von 87 Jahren in Israel.
Geboren wurde Schewach Weiss 1935 im damals polnischen, heute ukrainischen Boryslaw, rund 90 Kilometer südwestlich von Lemberg. Zusammen mit seiner Familie überlebte er als Kind die Schoa in seiner Heimatstadt. Die Nachbarn hätten sie versteckt, sagte er vor einigen Jahren in einem Interview. Es seien »gewöhnliche, aber heldenhafte Menschen« gewesen, betonte er, denn in Polen sei jeder sofort getötet worden, der Juden half. »Die Tatsache, dass ich gerettet wurde, ist wirklich ein Wunder.«
höhle Weiss und seine Familie hielten sich monatelang in einer 60 Zentimeter breiten Höhle auf, die sein Vater gebaut hatte. »Er hatte die Kojen übereinander gezimmert, bis unter die Decke. Wir mussten den ganzen Tag liegen«, erinnerte sich Weiss in dem Interview.
In der Nordwand habe es einen Riss gegeben, durch den er auf die Straße blicken konnte, die aus dem Wald führte, sagte Weiss gegenüber der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. »Auf dieser Straße führten die Soldaten die jüdischen Männer und Frauen in den Wald, und dann hörten wir Schüsse. Als ich einmal durch diesen Spalt auf den täglichen Todesmarsch (…) schaute, sah ich meine Tante und ihre Kinder, meine Cousins.«
Die Nachbarn, die Weiss und seiner Familie im Versteck halfen und damit das Leben retteten, erkannte Yad Vashem später als »Gerechte unter den Völkern« an.
ALIJA 1947 wanderte Schewach Weiss’ Familie ins britische Mandatsgebiet Palästina aus. Im Jahr darauf wurde der Staat Israel gegründet. Schewach Weiss beendete die Schule und schrieb sich an der Hebräischen Universität Jerusalem ein: Er studierte Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen, später auch Jüdische Studien und promovierte in Politischer Philosophie.
Nach dem Studium zog er nach Haifa, ging in die Kommunalpolitik und saß für die Arbeitspartei im Stadtrat. 1975 erhielt er an der Universität der Küstenstadt eine Professur für Politologie. Doch es zog ihn in die Landespolitik, und so kandidierte er 1981 für die Knesset. Mit Erfolg: Mehrere Legislaturperioden saß er im israelischen Parlament, zwischenzeitlich gar als Präsident.
In dieser Zeit wurde er unmittelbarer Zeuge des Mordes an Israels damaligem Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin. Weiss stand am 4. November 1995 bei einer Friedenskundgebung in Tel Aviv neben Rabin, als dieser von dem rechtsextremen Terroristen Yigal Amir erschossen wurde. Rabin und Weiss gehörten nicht nur derselben Partei an, sondern es verband sie eine persönliche Freundschaft.
YAD VASHEM Bei den Wahlen 1999 schaffte es Weiss nicht erneut in die Knesset und schied aus. Kurz darauf, im Jahr 2000, wurde er Vorsitzender des Rates der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Im selben Jahr wurde er auch Israels Botschafter in Warschau, ein Amt, das er bis 2004 bekleidete. In diesen vier Jahren wurde er in Polen vielfach geehrt als ein Mann, der sich um die Beziehungen zwischen beiden Ländern verdient gemacht hatte. Bevor er nach Israel zurückkehrte, gründete er an der Warschauer Universität ein Zentrum für Israelstudien.
In Polen blieb Schewach Weiss über die Jahre als großer israelischer Politiker in Erinnerung. So lobte ihn Präsident Andrzej Duda 2017 in der Knesset als Förderer engerer Beziehungen zwischen Israel und Polen, nannte ihn »einen Sohn der jüdischen Nation und des polnischen Bodens« und verlieh ihm die Auszeichnung »Ritter des Ordens des Weißen Adlers«. »Mit großer Trauer« habe er die Nachricht von Weiss’ Tod erhalten, erklärte Duda am Sonntag und lobte den Verstorbenen als »israelischen Patrioten, der Polen liebte und respektierte«.
Israels Präsident Isaac Herzog würdigte Weiss als einen Mann, der »sein Volk und den Staat liebte, den er mit Stolz vertrat«.
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